Wodurch zeichnet sich das sprachliche Porträt im Ruhrgebiet eigentlich aus? Antworten auf diese Frage lassen sich in der Neuerscheinung „Dortmund – Sprachliche Vielfalt in der Stadt“ finden.
Herausgeber Dietrich Hartmann (RUB) gibt im Folgenden einen Überblick über die Beiträge des Sammelbandes, die sich dem Sprachporträt Dortmunds aus sprachwissenschaftlicher sowie sprachsoziologischer Sicht nähern.
Wie spricht man eigentlich in (einer Stadt wie) Dortmund?
Im Alltagsbewusstsein werden die Sprechweisen im Ruhrgebiet auf „das Ruhrdeutsche“ reduziert. Die „Sprache des Ruhrgebiets“ bedeutet dabei oft das, was man seit den Auftritten von Jürgen von Manger und anderen Kabarettisten in Hörfunk und Fernsehen seit Beginn der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts dafür hält.
Dieser pauschalisierenden Sichtweise auf die Sprachlandschaft des Ruhrgebiets setzt der vorgelegte Sammelband das sprachwissenschaftliche Konzept des „sprachlichen Repertoires“ einer Sprachgemeinschaft entgegen. Diese Sichtweise geht ausdrücklich von der Vielfalt von Sprechweisen und Sprachen aus und wird somit der räumlichen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Komplexität heutiger Großstädte gerecht: Selbst innerhalb einer modernen Großstadt wie Dortmund gibt es also eine große Bandbreite sprachlicher Vielfalt.
Das „sprachliche Repertoire“ des Ruhrgebiets
Aus wissenschaftlicher Sicht ist die „Sprache des Ruhrgebiets“ gekennzeichnet durch
- den weitgehenden Abbau der niederfränkischen und westfälischen Dialekte,
- die Entwicklung einer Regionalsprache als Alltagssprache (Ruhrdeutsch), die ähnlich der früheren Dialekte verwendet wird,
- das (regionale) Deutsch als „Lernersprache“ oder Verkehrssprache, das von Zuwanderern aus unterschiedlichen Herkunftsländern verwendet wird,
- die „mitgebrachten“ Erst- (und oft auch Zweit-)Sprachen eben dieser Zuwanderer (z.B. Bulgarisch, Russisch, Polnisch, Türkisch und Arabisch) einschließlich der entsprechenden Sprachkontaktphänomene,
- die zahlreichen geschriebenen und gesprochenen Fachsprachen in Betrieben und Verwaltung sowie
- die geschriebenen und gesprochenen Ausprägungen der deutschen Standardsprache.
Das „sprachliche Porträt von Dortmund“ im Band
Das hier vorgelegte Sprachporträt Dortmunds gliedert sich entsprechend in vier thematische Schwerpunkte.
- Die Beschreibung regionalsprachlicher Merkmale
- Karin PITTNER über morphologische, syntaktische und lexikalische Merkmale im ruhrdeutschen Sprachgebrauch älterer Dortmunder Bergleute,
- Heinz H. MENGE über Existenz und Zugänglichkeit Dortmunder Sprachaufnahmen,
- Dietrich HARTMANN zur Frage nach dem „typischen“ Dortmunder Wortschatz im Rahmen der lexischen Variation im Ruhrgebiet.
- Sprachverwendung in der städtischen Erinnerungskultur
- Hermann Josef BAUSCH über Dortmunder Straßennamen als historisches Gedächtnis für das industrielle Zeitalter Dortmunds im 19. und 20. Jahrhundert,
- Markus DENKLER über die niederdeutsche Redewendung so fast as Düörpm (‚so fest wie Dortmund‘),
- Domänenspezifische Sprachverwendung und Kommunikation
- Judith VON DER HEYDE, Jochem KOTTHAUS, und Gerrit WEITZEL über das kommunikative Verhalten der (ehemaligen) Trainer des Dortmunder Bundeslisten BVB Borussia Dortmund, insbesondere Jürgen Klopps und Thomas Tuchels, im Rahmen der Narrative von der (ehemaligen) Arbeiterstadt Dortmund und der „echten Liebe zum BVB“
- Daniel HÄNDEL über die Fachsprache der öffentlichen Verwaltung und ihre Optimierung in Richtung größerer Verständlichkeit,
- Joachim WITTKOWSKI über das Kabarett in Dortmund von den dreissiger Jahren (Grisar) über Jürgen von Manger bis in die Gegenwart unter literaturwissenschaftlichen, theatergeschichtlichen und sprachwissenschaftlichen Blickwinkeln.
- Mehrsprachigkeit in Dortmund
- Miriam MOREK über Mehrsprachigkeit, Spracheinstellungen und Sprachideologien in Gesprächen unter Dortmunder Schülerinnen und Schülern,
- Uta QUASTHOFF über die Nutzung sprachlicher Vielfalt durch nichtmuttersprachliche Sprecher und Sprecherinnen bei Redewiedergaben in ihren Erzählungen von Behördenerlebnissen,
- Heinz EICKMANS und Evelyn ZIEGLER über die sichtbare Mehrsprachigkeit durch die Verwendung verschiedener Sprachen auf Hinweis- und Informationsschildern sowie Grafittis in den Dortmunder Stadtteilen Hörde und der Nordstadt.
Die Publikation als „Kind des Ruhrgebiets“
Viele Beiträger und Beiträgerinnen dieses Sammelbandes zu Sprechen, Schreiben und Kommunikation in Dortmund sind mit Bildungs- und Forschungsinstitutionen des Ruhrgebiets und Westfalens verbunden. Dazu zählen die Ruhrgebietsuniversitäten (Bochum, Dortmund, Duisburg/Essen), die Fachhochschule Dortmund sowie die Kommission für Mundart- und Namenforschung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe auch als Sponsor des Bandes. Die allen Beteiligten gemeinsame räumliche Verankerung hat im vorliegenden Fall etwas mit der Nähe zum Gegenstand zu tun und ist zunächst weder eine notwendige noch hinreichende Bedingung für den wissenschaftlichen Erfolg des Werkes. Allerdings bietet die Dichte der Bildungs- und Forschungsinstitutionen im Ruhrgebiet generell eine gute Chance für das Gelingen von Gemeinschaftsunternehmen zu einem (regional-)sprachwissenschaftlichen Gegenstand, insofern auch die Forschungsebene – nicht nur der sprachliche Gegenstand – von Vielfalt und Reichhaltigkeit geprägt ist.
Bibliographische Angabe:
Markus Denkler /Dietrich Hartmann/ Heinz H. Menge (Hg.), Dortmund Sprachliche Vielfalt in der Stadt (Reihe Niederdeutsche Studien, Bd.59). Wien. Köln. Weimar: Böhlau Verlag 2018. 339 S., geb. EUR 45,00