Das Germanistische Institut trauert um Prof. Dr. Gerhard Rupp

Wer Literatur liebt, sollte damit Spuren hinterlassen, sie intensiv zeichnen und Mitteilung machen. Schule und Hochschule sind gute Räume dafür. Beide hat Gerhard Rupp in beispielhafter Form genutzt und zum Ausdrucksmittel einer Überzeugung gemacht: dass Literatur kein Ornament oder Glasperlenspiel ist (bei allem Genuss), sondern etwas, was praktisch verhandelt werden soll und Teil einer Ausdruckskultur ist, die vom Privaten bis ins Politische reicht. Das Germanistische Institut trauert um ihn, der am 24.10.2025 im Alter von 78 Jahren verstorben ist, als langjähriges Mitglied, das auch nach außen große Wirkung entfaltet hat.

Die breite Palette seiner Ende der 60er Jahre an der Universität Frankfurt a.M. absolvierten Studienfächer Germanistik, Romanistik, Pädagogik, Philosophie und Soziologie verrät seinen Bildungsoptimismus: Man ist nicht fertig geworfen in die Welt, sondern gibt sich durch Sprache eine Form – das lesende und schreibende Subjekt sucht seinen Platz in der Gesellschaft. Während Gerhard Rupps Dissertation zur Rhetorik Nietzsches (1972/74) literaturwissenschaftlich-philosophische Probleme mit linguistischen Teilaspekten erfasst, ist seine Habilitation ausdrücklich didaktisch angelegt, mit weiten Implikationen: „Kulturelles Handeln mit Texten – Fallstudien aus dem Schulalltag“ (1984/87) ist insofern wegweisend geworden, als damit ein markanter Punkt für die Produktions- und Handlungsorientierung gesetzt wurde, welche die Schüler:innen dazu befähigen sollte, am gesellschaftlichen Diskurs teilzunehmen – Ziele, die sich noch in heutigen Lehrplänen prominent wiederfinden.

Bei solchen Themen ist die Nähe zu seinem Mentor Harro Müller-Michaels ersichtlich, womit auch die erste lange Berufsphase am Germanistischen Institut der RUB seit 1976 gekennzeichnet ist, die Gerhard Rupp an unserer Fakultät als Professor für Sprachlehrforschung bis 1990 fortsetzt. Es folgen die Wanderjahre: In Bordeaux und Frankfurt a.M. ist er als Gast- bzw. Vertretungsprofessor tätig, in Hannover als Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft und ihre Didaktik, in Düsseldorf von 1994 bis 2003 als Professor für Literaturwissenschaft/Literaturdidaktik und Prorektor für Lehre – Erfahrungen, die er dann 2003 wieder an unser Germanistisches Institut zurückbringt, wo er bis zu seiner Emeritierung 2013 den Lehrstuhl für Neuere deutsche Literatur und Literaturdidaktik innehatte. Sämtliche Berufsorte dienten immer auch dazu, die Interessengebiete zu erweitern – jenseits der empirischen Leseforschung, die einen roten Faden bildet, sind es interkulturelle Themen, das darstellende Spiel und auch die Medienpraxis, die zum sozial-kulturellen Horizont gehören. Für letzteres war die legendäre Tagung 1987 in Dubrovnik wichtig, die die Entwicklung der Germanistik zu einer Medien- und Kommunikationswissenschaft anbahnte und mit der auch Hans-Josef Gumbrecht zum langjährigen Weggefährten Gerhard Rupps wurde. Solche neuen fachwissenschaftlichen Perspektiven mit der Didaktik zu verbinden, betrachtete er ebenso als seine Aufgabe wie die Vermittlung poststrukturalistischer Ansätze.

Die zweite Bochumer Phase war auch organisatorisch eine intensive Zeit, in der die Umbrüche der Bologna-Reform mit dem akademischen Lehramtsstudium zu vermitteln waren – zumal im Kompetenzbegriff bündelten sich die Ansprüche einer zunehmend komplizierten Schulpraxis. Gerhard Rupp war hier auch deswegen der passende Stelleninhaber, weil er über vielfältige nationale und internationale Beziehungen vor allem zu didaktischen Kolleg:innen sowie reiche Gremienerfahrung verfügte. Sein Weitblick ermöglichte es ihm, Probleme rasch einzuordnen, Optionen klug zu gewichten und dann in pragmatischer Weise Handlungswege vorzuschlagen.

Neben alldem war noch Zeit, die genuinen literarischen Interessen zu verfolgen, nämlich als Mitvorsitzender der Literarischen Gesellschaft Bochum, die er von 2006 bis 2022 mit Ralph Köhnen leitete.

Die umfangreiche Festschrift, die zu seinem 65. Geburtstag von Jan Boelmann und Daniela Frickel herausgegeben wurde, zeigt unter dem weitherzigen Begriff „Literatur – Lesen – Lernen“ noch einmal das vielfältige Interessenspektrum Gerhard Rupps. Das denkbar heterogene Beiträgerfeld deutet nicht nur seine weitreichenden Vernetzungen an, sondern zeigt nebenbei auch sein Engagement für den wissenschaftlichen Nachwuchs – forschendes Lernen war an seinem Lehrstuhl gängige Praxis.

Ein hoch dotiertes Forschungsstipendium der VW-Stiftung ermöglichte es ihm 2011, sich in den letzten beiden Berufsjahren vom universitären Lehrbetrieb freistellen zu lassen, um im Rahmen einer Opus-magnum-Förderung ein Panorama des didaktischen Wissens darzustellen. Es finden sich hier nicht nur die Entwicklungslinien der Didaktik spannend nachgezeichnet und kontextuiert, vielmehr wird Deutschdidaktik vergleichend mit anderen europäischen Didaktiken dargestellt, um die Begrenzung auf einen Sprachraum zu überwinden und Lehraufgaben im europäischen Kontext, sodann auch mit globalen Aspekten zu entfalten.

Die Fertigstellung des 800 Seiten starken Buches, das den Autor als Rundum-Didaktiker zeigt und das man auch heute noch als aktuelles Handbuch konsultieren kann, koinzidierte mit der großen Migrationswelle 2015. Und hier zeigt sich, dass Didaktik eben nicht nur mit Modellen und Begriffen arbeitet, sondern zur Anwendung gedacht ist: Ohne sich allzu lang mit politisch-theoretischen Debatten aufzuhalten, schritt der Autor zur Tat, organisierte und erteilte Sprachunterricht für Geflüchtete und gab seine Erfahrungen in Vorträgen weiter.

Bis zuletzt hat Gerhard Rupp sich engagiert über Gegenwartsliteratur geäußert und an Ereignissen des Schul- und Hochschulbetriebs Anteil genommen, aber auch sich in der Politik engagiert – täglich war er im Rahmen der Kommunalwahlen dieses Jahres für Die Grünen unterwegs, jene Partei, die seinem humanitären Denken am nächsten stand und die er leidenschaftlich unterstützte. Wir gedenken seiner und vermissen ihn als umsichtigen, guten Kollegen, als Bildungspraktiker und als Freund.

Ralph Köhnen