«Querulieren» – ein neues altes Medien-Phänomen

Cover des im April 2021 erschienen Buchs «Querulieren. Kulturtechniken, Medien und Literatur 1700-2000», in den Farben der im übertragenen Sinne brennenden «Tronkenburg» in Heinrich von Kleists Michael Kohlhaas.


Am 14. Juni 2021 lud das Kulturwissenschaftliche Institut (KWI) Essen zur virtuellen Buchpräsentation ein:
In seinem Buch „Querulieren. Kulturtechniken, Medien und Literatur 1700-2000“, das am 21. April 2021 im Metzler Verlag erschien, beschreibt Rupert Gaderer ein neues, aber auch altes Phänomen: das Querulieren oder, in persona, den Querulanten.

Worum es geht, erklärt Gaderer wie folgt: „Ende des 18. Jahrhunderts wird zum ersten Mal der Typus des ‘Querulanten‚ beschrieben. Es handelt sich um einen devianten Kläger, der mit unzähligen Schreiben die bürokratische Kommunikation stört, die Arbeitskapazität der Gerichte erschöpft und nötigenfalls mit Waffengewalt um sein Recht kämpft. In dieser Zeit wird das Querulantentum in unterschiedlichen Wissensfeldern virulent. Ausgehend von institutionellen Verordnungen, juristischen Diskussionen und psychiatrischen Falldarstellungen rekonstruiert die Studie erstmals eine systematische Medien- und Literaturgeschichte des Querulierens von der Aufklärung bis in die Gegenwart.“


Eröffnet wurde die Zoom-Lesung von Hanna Engelmeier (KWI). In ihrer Einführung stellte sie kurz die Herausgeberin Natalie Binczek (Germanistisches Institut, Ruhr-Universität Bochum) und die beiden Diskutant:innen vor: die Literaturwissenschaftlerin Juliane Prade-Weiss (Institut für Allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft, LMU München) und den Literatur- und Medienwissenschaftler Rupert Gaderer.

Nach dieser Vorstellung wurde die Kamera auf den Gartensaal im KWI gerichtet, wo Binczek, Prade-Weiss und Gaderer zusammen auf die virtuelle Bühne traten. Nach der Präsentation der Reihe durch Binczek, folgte der Hauptteil der virtuellen Veranstaltung, eine sehr rege Diskussion zwischen Prade-Weiss und Gaderer. In dieser intensiven Diskussion wurden unter anderem die Punkte besprochen, wie sich das Querulieren über die Jahrhunderte veränderte, inwiefern der Querulant ein Produkt und ein notwendiges Übel der Bürokratie ist, das Querulieren ab dem 19. Jahrhundert als Krankheit angesehen wird und welche Verbindungen zwischen Medien und Literatur anhand des anormalen Verhaltens beobachtbar sind.

Nach über 60 Minuten Diskussion stand Gaderer noch für eine Fragerunde zur Verfügung, in der die etwa 50 Teilnehmer: innen in den direkten Austausch mit ihm treten konnten. Dieses Angebot wurde rege genutzt, denn das Thema ist zwar alt, aber immer noch brandaktuell.

Abschließend kann gesagt werden, dass Gaderers Buch es schafft, das Phänomen des Querulierens von der Entstehung Ende des 18. Jahrhunderts bis in die heutige Zeit zu erfassen und darzustellen. Die Monografie trifft den Nerv der Zeit, vergisst dabei aber nicht auf die Historizität des Phänomens einzugehen– eine Empfehlung an alle Leserinnen und Leser, die sich mit dem «Querulieren» genauer auseinandersetzten möchten.

Wer ist der Autor?
PD Dr. Rupert Gaderer lehrt und forscht als Akademischer Oberrat auf Zeit an der Ruhr-Universität Bochum. Seine Forschungsschwerpunkte sind Medienphilologie, Kulturtechnikforschung und Mediengeschichte digitaler Kulturen.

Wer sind die Organisatoren?
Das Kulturwissenschaftliche Institut Essen (KWI) ist ein interdisziplinäres Forschungskolleg für Geistes- und Kulturwissenschaften in der Tradition internationaler Institutes for Advanced Study. Als interuniversitäres Kolleg der Ruhr-Universität Bochum, der Technischen Universität Dortmund und der Universität Duisburg-Essen arbeitet das Institut mit den Wissenschaftler:innen seiner Trägerhochschulen und mit weiteren Partnern in NRW und im In- und Ausland zusammen. Innerhalb des Ruhrgebiets bietet das KWI einen Ort, an dem die Erträge ambitionierter kulturwissenschaftlicher Forschung auch mit Interessierten aus der Stadt und der Region geteilt und diskutiert werden. Derzeit stehen folgende Forschungsschwerpunkte im Mittelpunkt: kulturwissenschaftliche Wissenschaftsforschung, Kultur- und Literatursoziologie, Wissenschaftskommunikation sowie ein „Lehr-Labor“. Fortgesetzt werden außerdem die Projekte im Forschungsbereich Kommunikationskultur sowie Einzelprojekte.

Buchreihe:
Die Monografie „Querulieren. Kulturtechniken, Medien und Literatur 1700-2000“ erscheint als erster Band in der neuen Reihe „Media. Literaturwissenschaftliche Forschung“ (Verlag J.B. Metzler).

Herausgeber:innen und interdisziplinäres Team:
Prof. Dr. Natalie Binczek von der Ruhr-Universität Bochum,
Prof. Dr. Stephan Kammer von der Ludwig-Maximilians-Universität München,
Prof. Dr. Markus Krajewski von der Universität Basel,
Prof. Dr. Fatima Naqvi von der Yale University

Kommende Veranstaltungen?
Alle Termine zu den kommenden Veranstaltungen der KWI sind hier zu finden.

[C. F. ]